Verantwortungsbewusste Unternehmer, kreative Schulleitungen, Bürgerinitiativen, studentische Start-ups oder einzelne Bürgerinnen und Bürger zeigen, dass man das Unerwartbare tun kann. Sie nutzen ihre Handlungsspielräume, um zukunftsfähige Lebensstile und Wirtschaftsweisen zu entwickeln. Sie fangen schon mal an.
FUTURZWEI macht es sich zur Aufgabe, dieses Anfangen gesellschaftlich sichtbar und politisch wirksam zu machen. Auch das 21. Jahrhundert braucht Visionen von besseren, gerechteren und glücklicheren Lebensstilen.
Im Zukunftsarchiv werden Geschichten des Gelingens erzählt. Dabei geht es um Menschen, die ihre Welt verändern, indem sie Ideen über andere Formen des Produzierens, Wirtschaftens, Unterhaltens usw. umsetzen und damit Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit praktisch machen. Sie machen Unerwartetes, weil sie es sinnvoll finden. Bei all dem wird Wissen erzeugt, das wir künftig brauchen werden. Deshalb ist alles, was Sie im Zukunftsarchiv lesen können, zum Weitererzählen und – besser noch – zur Nachahmung empfohlen.
Wir von alles-mv.de sind dabei und zeigen auch in Mecklenburg-Vorpommern gibt es Menschen, die schon mal anfangen. Heute berichten wir über die genossenschaftlich finanzierte Zeitschrift Oya.
Solidarische Ökonomie schreiben, lesen und machen
Die genossenschaftlich finanzierte Zeitschrift Oya hat es wie keine andere geschafft, Nischenthemen schick verpackt zusammenzubringen und damit eine bunt gemischte Lesermasse anzusprechen. Der Weg dahin war jedoch holprig.
Wenn man versunken in der Oya blättert, kommt einem nicht in den Sinn, dass das Gedruckte ganz anders aussehen oder schlichtweg nicht da sein könnte. Die Mischung aus radikal-ökologischen sowie gesellschafts- und wachstumskritischen Artikeln mit Anknüpfungen zur Praxis gab es in einem deutschen Magazin vorher nicht. Die Aufmachung der Oya ist eine Mischung aus simpel-modern und klassisch-warm. Vielleicht auch deshalb spricht sie Leser aller Altersklassen und verschiedener Interessengruppen an: Die Veganerin aus der Mittelschicht findet genauso etwas, wie der kapitalismuskritische Linke oder die misstrauische Alternativmedizinerin. Bis es soweit war, mussten Oya-Chefredakteurin Lara Mallien und ihr Team aus dem experimentellen Künstlerdorf Klein Jasedow in Mecklenburg-Vorpommern jedoch einige Hürden überwinden.
Die ersten Ausgaben des Magazins erschienen bereits Ende der 1980er-Jahre, damals noch unter dem Titel Kurskontakte. Darin berichtete ein Teil des heutigen Oya-Teams über alternative Bildungsangebote. Schnell wurde den Redakteuren klar, dass eine Zeitschrift als Nebenbeschäftigung nicht mach- und finanzierbar ist. Drum wurde das Projekt an eine Freundin übergeben, die das Finanzierungsproblem durch eine Fülle fremder Anzeigen zu lösen versuchte.
Um 1997 gab die Freundin die Verantwortung für das Magazin dann zurück. Passenderweise schwappte zur gleichen Zeit aus den USA die Bewegung der selbsternannten Kulturkreativen erstmals nach Deutschland herüber – eine neue Denkweise, die alternative Richtungen nicht mehr trennen, sondern zusammenbringen wollte. Das gefiel den Klein Jasedowern und die zurückerlangte Kurskontakte wurde zusammen mit dem anthroposophischen Magazin Info3 und der politischen Zeitschrift Schweizer Zeitpunkt Teil einer neuen Mediengruppe mit dem naheliegenden Namen Kulturkreative. Im freundschaftlichen Zusammenschluss wollte man nun über gesellschaftlichen Wandel, aber auch über Ökologie und Spiritualität diskutieren. Vor allem aber dachte die Gruppe darüber nach, wie alternativer Journalismus heute aussehen könnte: nicht mit verengten Blick der eigenen Bewegung hinterhermarschieren, sondern versuchen, unterschiedliche Menschen zusammenzubringen, die ihr Zusammenleben und Arbeiten ökologischer und lebensfreundlicher gestalten wollen.

Von links nach rechts: Obere Reihe: Gandalf Lipinski (Autor), Dieter Halbach (Redaktion: Gemeinschaften), Johannes Heimrath (Herausgeber), Matthias Fersterer (Redaktion: Kraft der Vision), Beate Küppers (Redaktion: Gesundheit), Lara Mallien (Chefredaktion), Marlena Sang (Grafik), Thorsten Reul (Grafik), Untere Reihe: Ulrike Meissner (Redaktion: Permakultur), Sonja Blank (Autorin), Anke Caspar-Jürgens (Redaktion: Bildung)
Nach zwölf Jahren, in denen der redaktionelle Teil mit interessanten Rubriken und Schwerpunkten weiter gefüllt werden konnte, wurde schließlich eine Neustrukturierung notwendig. Zwar fanden die Artikel bereits großen Zuspruch, doch die vielen bunten Anzeigen wirkten unseriös und stießen Leser ab. Die Werbung musste raus, ein neuer Name und ein neues Design her. Thematisch wollte man weiterhin, ganz im Sinne der Kulturkreativen, in viele Richtungen blicken. Die Formate sollten von praxisorientierten Berichten bis zu Interviews mit Personen reichen, die gesellschaftlichen Wandel im Großen oder Kleinen unterstützen und erdenken.
Mit dem Wegfall der Werbeanzeigen wurde jedoch eine neue Einnahmequelle nötig, denn Gedrucktes mit sozialer Ausrichtung kostet nicht weniger als das hundertste Männermagazin. Schließlich sorgte das gute Karma der kleinen Zeitschrift dafür, dass ein Sponsor aufgetan werden konnte, der bereit war, die Neuausrichtung finanziell zu unterstützen. In Redaktionssitzungen wurden derweil munter erste Designideen und Themenvorschläge gesammelt. Auch über das Geschäftsmodell wurde man sich einig: Eine Genossenschaft wollten sie werden. Es schien alles gut. Der erste Geldgeber wäre so zum ersten Anteilseigner geworden. Wäre. Wäre er nicht bald wieder abgesprungen.
Wenn ein Geldgeber abspringt, ist er meist vom Projekt nicht mehr überzeugt. Doch dieser Förderer stieg nicht wegen mangelnder, sondern wegen zu starker Überzeugung aus. Die ökonomische Kritik sowie der Postwachstumsgedanke, welche die Redaktionsgespräche dominierten, hatten ihn derart überzeugt, dass er beschloss, künftig kein weiteres Eigentum zu erwerben – leider auch keine Genossenschaftsanteile.
Der Vorfall war ein Rückschlag, klar, aber diese Erfahrung gab erst den „richtigen Anschub“, so sieht es Chefredakteurin Mallien heute. Das Konzept stand, auch das Layout nahm Gestalt an – ein Zurück war keine Option. Eine tatkräftige Genossenschaft könne auch anders auf die Beine kommen, machte man sich damals gegenseitig Mut. Es galt vor allem die 1.000 Bezieher der alten Kurskontakte für den Erhalt des Magazins in überholter Form zu mobilisieren: solidarische Ökonomie nicht nur lesen, sondern machen. Und siehe da: Die Abonnenten reagierten positiv. Zudem konnten in kürzester Zeit 400 neue Abos abgeschlossen und 30.000 Euro eingesammelt werden. Ein Kraftakt; doch die Finanzierung für den ersten Druck stand.
Jetzt musste noch ein prägnanter, aber wohlklingender Name her, einer, der kurz und leicht zu merken ist. Sie fanden ihn bei den nigerianischen Yoruba, deren Göttin Oyá für die Kraft des Wandelns steht. Oyá sollte nun die Transformation vom Reklame-Heftchen zur Genossenschaftszeitschrift zum Gelingen bringen, stärken und schützen. Angesichts der weltweit aufkeimenden Commons-Bewegung sollte sich das erste Heft dem Thema Allmende annehmen. Der Philosoph Andreas Weber steuerte einen Artikel bei, ebenso wie bekannte Aktivistinnen und Experten. Auch eine Expertin des Alltags kam zu Wort: eine Bäuerin, die in ihrer Gemeinde dafür sorgt, dass die Benutzer der öffentlichen Toiletten, diese auch pflegen. Der Redaktion war es wichtig, zu zeigen, welche Allmenden bereits bestehen. Sie wollte sich nicht in Utopien verlaufen, sondern Greifbares liefern.
Dann endlich, mehr als 20 Jahre nach der Entstehung der Kurskontakte, nach Umstrukturierungen und Geldengpässen konnte man das frisch gedruckte Heft des neuen Magazins in den Händen halten: die erste Oya im Handel und in den Briefkästen der Abonnenten. Und sieh‘ an: deren Zahl schnellte sofort auf 1.000 hoch! Mittlerweile, vier Jahre später, hat die Oya 4.000 Abonnenten, von denen zehn Prozent Genossen sind, die mitbestimmen. Die Oya erscheint seither alle zwei Monate. Inzwischen wurde unter anderem über Urban Gardening geschrieben, über natürliche Bodenbildungsprozesse berichtet, über kollaborative Demokratie nachgedacht und das Phänomen Gewalt im Sinne zivilen Ungehorsams hinterfragt.
Ist die Wandlung damit nun beendet, hat die Göttin Oyá ihr Werk vollbracht? „Unser nächstes Ziel ist es, auf 5.000 Abonnenten zu kommen“, sagt Mallien, nicht, weil Dollar-Zeichen in ihren Augen blitzten, sondern weil sich das Heft noch immer nicht allein trägt. Viel passiert ehrenamtlich oder zu Freundschaftspreisen. „Und inhaltlich hätten wir gerne noch mehr Themen mit Biss“, fügt sie hinzu. Eines will die Oya-Redaktion aber unbedingt beibehalten: Positive Lebens- und Wirtschaftsentwürfe sollen krassen gesellschaftlichen Fehlentwicklungen entgegengestellt werden. Und sie möchte weiter dafür sorgen, dass sich alternative Gruppen zu starken Bewegungen zusammenfinden, statt sich unverstanden in der Nische zu verkriechen.
Autor: Nicholas Czichi-Welzer, 18. Dezember 2014
Veröffentlichung mit Genehmigung der Stiftung FUTURZWEI.